Acht Förstereien sind für Hamburgs Waldgebiete zuständig. Die Revierförsterei Eißendorf ist eine davon und liegt im Hamburger Süden. Der Leiter Arne Schulz gewährte auf seinem Rundgang am 23. September 2022 einen umfangreichen Einblick in seine Welt der zukunftsfähigen Waldwirtschaft. Die Veranstaltung ist Teil der HARBURG21-Netzwerkreihe "Trees for Future".
Überhitzte (Groß-) Stadtgemüter wissen sie zu schätzen, die großen und kleinen Schattenspender, Abkühlhelfer, Luftreiniger, Wassermanager, Bodenschützer und Klimaretter in einem: unsere Bäume und Wälder. Also raus aus der wachsenden Betonenge und rein ins Waldvergnügen: spazieren gehen, joggen, Rad fahren, Pilze und Blätter sammeln, auf Schatzsuche gehen. Der reinste Balsam für die Seele. Stressabbau pur. Für homo sapiens.
Der Wald singt ein anderes Lied: Die Forstfachwelt erwartet deutlich ansteigende Durchschnittstemperaturen bei weniger Regen und einer zumindest veränderten jahreszeitlichen Niederschlagsverteilung – und damit mehr Stress für das Ökosystem Wald. Vermehrte Hitze- und Trockenperioden sorgen für mehr Schädlings- und Pilzbefall der Bäume, erhöhtes Baum-Krankheitsrisiko sowie verstärkte Astbrüche und Entwurzelungen bei heftiger werdenden Stürmen.
Klingt nach wenig rosigen Wald-Aussichten und mehr nach „neue Bäume braucht das Land“. Doch die Freie und Hansestadt Hamburg (FHH) hat einen eigenen Plan zur Klimaanpassung bei gleichzeitigem Erhalt der Biodiversität von Flora und Fauna: Mischwälder sind Trumpf, wobei Gehölze aus Deutschland und Europa den Vorrang haben vor eingeführten und wissenschaftlich empfohlenen, bewährten Baumarten. Seit 2019 sollen sich im Rahmen des Naturwaldstrukturprojektes mindestens 10 % des gesamten Waldes natürlich entwickeln dürfen und sind somit aus dem Bewirtschaftung herausgenommen. 5.400 ha umfasst das Hamburger Staatswaldgebiet, das von acht Förstereien betreut wird.
Heute interessiert uns das Wohl und Wehe der Revierförsterei Eißendorf im Bezirk Hamburg-Harburg, westlich der A7 und B75.
Start: Es ist Freitagnachmittag, kurz vor drei. Anders als noch am Vortag kommt der Herbst heute freundlich und regenfrei daher. Revierförster Arne Schulz erwartet uns, 20 an der Zahl, mit seiner zweieinhalb Jahre alten Jagd-Hündin Kiwi vor seinem Amtssitz am Vahrendorfer Stadtweg 10 – er in erdfarbener Arbeitskluft und festem Schuhwerk, sie an einer orange leuchtenden Leine. Kiwis hauptsächliche Aufgaben: verletztes Wild aufspüren und bei der Jagd das Wild dem Jäger zuführen. Heute aber nicht. Für sie hat das Wochenende bereits begonnen. Auch Arne Schulz wird nicht mit uns auf die Pirsch gehen, er hat andere Pläne mit uns. Dass Förster:innen wie in seinem Falle auch meistens eine Jagdausbildung haben, wundert nicht. „Als Jäger kann ich den Wald im Ernstfall besser betreuen“, so Schulz. Katzen und freilaufende Hunde erschieße er nur, wenn es sich eindeutig um Tiere handele, die bereits Wildschaden angerichtet hätten. Beruhigend zu wissen.
Seit 2019 ist der Leiter der Revierförsterei Eißendorf für 520 Hektar Wald zuständig. Dazu gehören Im Stuck, Eißendorfer Sunder, Heimfelder Holz, südliche Haake und der Eißendorfer Forst. Heute steht selbstredend nur ein kleiner Teil davon auf dem Programm. Auf dem 4 Kilometer-Rundgang durch den Eißendorfer Forst wird der Waldexperte von Ameisen, Bestandspflege, Holzernte, Naturschutz, Zertifikaten und Zukunftsplänen erzählen. Zwischendurch richtet er auch schon mal ein paar Fragen an uns.
Na, dann los. Wir folgen dem Förster und seinem Vierbeiner, ziehen vorbei am AWO-Waldkindergarten und biegen rechts in den Wald hinein. Es geht flott bergab. Wir entdecken am linken Wegrand parallel verlaufende Spuren eines, ähm, Traktors? Nein, eines Forwarders, einem 8-rädrigen Tragschlepper, auch Rückezug genannt, der per Kranarm sogenanntes Kurzholz (geschnittene Baumstämme) einsammelt und dann bis zum LKW-befahrenen Waldweg bringt.
1. Station: Wir kommen zu einem Holztisch mit zwei Sitzbänken. Schulz präsentiert uns seine wetterfest laminierte Forstbetriebskarte und fragt nach der Bedeutung der unterschiedlich bunten Flächen darauf: „Das sind verschiedene Baumarten“, weiß eine ältere Dame im Wander-Outfit. Bingo! „Und die schraffierten Flächen zeigen mir, wo junge Bäume stehen, während die volleingefärbten Areale ältere Bäume bezeichnen“, erklärt unser Guide. "Die Zahlen, die dabeistehen, geben an, wie dicht die Bäume stehen. Das ist wichtig für die Holzernte.“ Richtig, wir befinden uns ja in einem Forst, also einem wirtschaftlich genutzten Waldabschnitt.
Wie steht es eigentlich mit Naturschutzgebieten (NSG) im Revier? Das Gebiet „Heimfelder Holz“ im östlichen Teil der Haake, südwestlich von Meyers Park, wäre da zu nennen. Es ist mit 88 Hektar fast genauso groß wie der Eißendorfer Forst. „Allerdings besteht für jedes NSG ein Maßnahmenpaket zur Pflege und dabei sind hier forstwirtschaftliche Maßnahmen nicht ausgeschlossen“, gibt Schulz zu bedenken und beschert uns weitere Fakten.
Harburg deckt 50 Prozent des Bedarfs der Hamburger Holzwirtschaft ab und trägt als regionaler Lieferant direkt zum Klimaschutz bei. Zudem ist dieses Bau- und Industrieholz FSC-zertifiziert. Hinter dem Kürzel verbirgt sich das gleichnamige Siegel der internationalen gemeinnützigen Organisation Forest Stewardship Council, das für nachhaltige Waldnutzung steht und wirbt. Die Kriterien: ordnungsgemäße Holzfällungen, Habitats-Qualität, Arbeits-, Einkommens- und Naturschutz und auch die Wahrung der Rechte Indigener. „Was hier in Harburg eher weniger relevant ist“, schmunzelt unser Waldexperte.
Wir ziehen weiter. Ein kleiner weißer Terrier kommt uns freilaufend entgegen, was seinem Herrchen die freundlich-bestimmte Ermahnung einbringt, seinen Hund im Wald bitte immer an der Leine zu führen und kurz zu halten. Sollte jede:r eigentlich wissen, lässt sich aber nicht jede:r von jeder x-beliebigen, noch so freundlichen Person sagen. Vom Förster schon.
2. Station: Wir machen an einer vier bis sechs Meter breiten Schneise halt, die quer über den Waldweg in die Hügel rechts und links führt. „Dies ist eine Rückegasse“, erklärt Schulz, „eine verbindliche Fahrgasse innerhalb eines offiziellen Rückewege-Netzes für Forwarder. Damit soll planloses, flächiges Herumfahren zum Einsammeln von Baumstämmen im Wald vermieden werden.“ Zu viel Bodenverdichtung wäre sonst die Folge, mit Beeinträchtigung der Bodenlüftung und Wasserspeicherfähigkeit. Außerdem würden Wurzeln unter dem Druck beschädigt. Leuchtet ein. Und Rückepferde? Schön wär’s ja. Aber keine gute Idee bei dem hügeligen Gelände hier. Beim Durchforsten eines Waldes ginge es auch um Tierschutz.
Wir schauen uns um und entdecken neben Fichten und Buchen auch viele Douglasien. Sie gehören zu den schnellwachsenden, hochwertigen Holzlieferanten, die auch Hitze gut vertragen. „Auch Waldbäume leiden unter Klimastress, das ist klar erkennbar“, so Schulz. „Nicht zuletzt auch an den Sturmschäden, die wir nachher noch begutachten können.“
3. Station: Die Gruppe setzt sich wieder in Bewegung und marschiert zügig auf eine Weggabelung in der Nähe eines Rettungspunktes zu, einer Stelle, die von Feuerwehren und Rettungswagen gut erreicht werden kann. Kennzeichen ist ein quadratisches dunkelgrünes Schild mit vier weißen Eckpfeilen, die auf den weißen Punkt in der Mitte zeigen. Die Schilder stehen meist an öffentlich befahrbaren Stellen, Parkeingängen, Waldkreuzungen, Waldhütten und sollten von jedem Punkt im Wald aus möglichst innerhalb von zehn Minuten erreichbar sein.
Mit dem Autobahnrauschen der A7 im Ohr geht es weiter zur nächsten Station. Zwei Mischlings-Vierbeiner kommen uns – ordnungsgemäß angeleint – mit Frauchen entgegen. Bestimmt keine ausgebildeten Rettungshunde, viel zu klein dafür. Sie taugen auch nicht für Jagdeinsätze, die gemäß bezirklicher Abschusspläne die Populationen von Füchsen, Dachsen, Waschbären und Marder in Schach halten. Jagen will schließlich gelernt sein – darüber sprachen wir ja schon.
4. Station: An einer Lichtung rechter Hand mischt sich ein Krähenschrei mit Autobahn- und Fluglärm. Die 0,4 Hektar große Fläche mutet ausgedünnt an. Dort, wo vor dem jüngsten Sturm noch intakte Douglasien, Fichten und Buchen standen, beginnen hier Traubenkirschen, Ebereschen und Faulbäume zu wachsen. „Die Fichten sind umgeknickt wie Streichhölzer. Sie standen genau in der Windschneise, die bis zum Ölschlägerweg reichte. Das hat Hamburg mehr Bauholz und Cash beschert als geplant“, sagt Schulz. Mit Nachhaltigkeit hat das jetzt aber nichts zu tun, oder?
Ob denn auch die abgesägten Baumkronen zu Holzentnahmen gehören würden? Nein, sie sind ein guter Nährstofflieferant, wenn sie verrotten. Das Areal soll aber ohnehin ein gegen Rehfraß eingezäuntes Experimentierfeld für den klimaangepassten Waldbau werden: Schulz denkt an die Anpflanzung klimaresistenter Gehölze wie Roteiche (Quercus rubra) und Baum-Hasel (Corylus columa) sowie die „adaptive Generalistin“ und Schattenbaumart Weißtanne (Abies alba): Sie gedeiht in unterschiedlichen Regionen und klimatischen Bedingungen und wird in Europa als möglicher Fichtenersatz gehandelt. „Die Fläche muss allerdings vorbereitet werden“, erklärt Schulz. „Auch die Begleitvegetation schneiden wir ab und lassen es zu Bodennahrung vermodern.“
Wir wollen mehr zur privaten Grünentnahme wissen. Pilze für den Eigenbedarf seien kein Problem, Reisig-, Totholz- und weitere Holzmitnahmen aber schon und würden zur Anzeige gebracht. Tja, Energiekrise hin oder her: Selbstbedienung im Wald ist illegal und kann richtig teuer werden.
Wir umrunden halbwegs das sturmgebeutelte Areal. Es geht langsam wieder bergauf, flankiert von Holzschnittstapeln rechts und links. Die Vermutung, dass dies die Sturmschäden seien, ist richtig. Ein Haufen aus Erde, Fichtennadeln und Ästen kommt ins Blickfeld und verrät uns, dass ausgesprochene Nützlinge für die Forstwirtschaft am Werk sind: Ameisen. Sie sorgen für gute Bodenqualität, die Verbreitung von Pflanzensamen sowie für die Beseitigung von Waldschädlingen und abgestorbenen Insekten.
Übrigens, der Baumbestand im Eißendorfer Forst setzt sich überwiegend aus Laubbäumen zusammen. An der Spitze mit 80 Prozent stehen Buchen. Douglasien sind mit zwölf bis fünfzehn Prozent dabei. Kiefern seien hier im Forst eher rückläufig. Als sogenannte Pionierbaumart sind sie kaum in Mischwäldern, da sie eher für die Anlage eines vorläufigen Waldbestandes angepflanzt werden.
5. Station Beim letzten Halt auf der Zielgeraden zum Ausgangspunkt geht es um Verkehrssicherungspflicht von Förster:innen und Waldbesitzenden. Sie müssen dafür sorgen, dass für Waldbesucher:innen keine Gefahren von möglichen Windbruch und Windwurf ausgehen. Aber nur dort, wo Schilder die Öffentlichkeit einladen, sich länger aufzuhalten, wie etwa an Rastplätzen, und an den Waldaußengrenzen (Straßen- und Bahnlinien, Häuser). Auf Waldwegen gilt das nicht. Wer Erholung im Wald sucht, begibt sich auf eigene Verantwortung dorthin und muss mit einer Reihe von sogenannten waldtypischen Gefahren rechnen. Dazu gehören Trockenäste in Baumkronen, Reisig, herabhängende Äste, mangelnde Stand- und/oder Bruchfestigkeit von Bäumen, Schlaglöcher, unbefestigten Randstreifen, Steine, Wurzeln oder auch Glatteis. Gut zu wissen.
Es geht weiter aufwärts und schon stehen wir wieder vor dem Forsthaus – pünktlich um 15:30 Uhr. Arne Schulz freut sich auf sein Wochenende, Hündin Kiwi auf die Grauhaar-Dackeldame älteren Semesters hinter der Grundstückspforte (Eisenzaun). Über uns dröhnt noch einmal ein Flugzeug, die Gruppe bedankt sich für die aufschlussreiche Exkursion und alle gehen ihrer Wege.
Text: Chris Baudy
Bildungspartner für Nachhaltigkeit
Fotos: Gisela Baudy
Zum Weiterlesen:
Hamburger Stadt-Wald
https://www.hamburg.de/wald
Hamburgische Revierförstereien
https://www.hamburg.de/harburg/forsten/
Rundgänge im Eißendorfer Forst
(4 km) https://www.alltrails.com/de/route/germany/hamburg/runde-durch-den-eissendorfer-forst
(<10km) https://www.ich-geh-wandern.de/wandern/eissendorfer-forst
Stellungnahme des Senats zum Naturwaldstrukturprojekt (2019)
Die Veranstaltung unterstützt die Umsetzung der Agenda 2030 in Hinblick auf die Globalen Entwicklungsziele (SDGs): Gesundheit, Bildung für nachhaltige Entwicklung, nachhaltige Wirtschaft, nachhaltige Städte, Klimaschutz und Schutz von Leben an Land.
"Trees for Future - Stadt- und Klimabäume in Harburg" wird gefördert aus Mitteln des Hamburg Masterplans BNE 2030, einem Projekt der Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft (BUKEA), und koordiniert durch die Hamburger Klimaschutzstiftung.