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06.07.2022

Von Bäumen, die Klima können - Exkursion zum Klimabaum-Hain

Am 24. Juni 2022 begaben sich zwölf interessierte Stadtgrün-Fans in Beckedorf auf eine Baum-Safari auf dem Gelände der Baumschule Lorenz von Ehren (LvE). HARBURG21 hatte dazu eingeladen und begleitete die zweistündige Exkursion durch den norddeutschen Klimabaum-Hain.

Im Klimabaum-Hain (Foto Gisela Baudy)

Pfützen nach dem Starkregen (Foto Gisela Baudy)Bei hochsommerlichen 28 Grad Außentemperatur verlassen wir am 24. Juni 2022 um Viertel nach vier die Endhaltestelle der Buslinie 143 im Gewerbegebiet Beckedorf und biegen in die Verlängerung des Beckedorfer Bogens ein. Das Schild mit dem dunkelgrünen Baumsymbol auf hellem Hintergrund – Markenzeichen der Baumschule Lorenz von Ehren – ist bereits deutlich erkennbar. Schattenlos zieht der schmalspurige Asphaltweg an langen Baumreihen vorbei und deutet mit einer ausladenden Regenpfütze das Ausmaß des mittäglichen Gewitter-Niederschlags an: 20 Liter pro Quadratmeter in kürzester Zeit, wie wir von unserem Safari-Leiter Thomas Dieckmann erfahren.

Thomas Dieckmann (Foto Gisela Baudy)Der Baumschul-Gärtnermeister und Ausbildungsleiter bei LvE kennt den Klimabaum-Hain wie seine eigene Westentasche. Er hat schon viele Gruppen, Studierende, Schüler:innen, Auszubildende und auch potenzielle Käufer:innen durch den Hain geführt.

„Auf einem halben Hektar stehen hier 61 Gehölze von etwa 10-12 Jahren.“ Dieckmann zeigt auf die sechs Baumreihen hinter sich und erklärt uns, dass diese Gehölze von der GALK, der Gartenamtsleiterkonferenz, empfohlen worden seien, da sie sich in langjährigen Testreihen unter realen Bedingungen als stadtklimaverträglich gezeigt hätten. „Im Vergleich zum Straßenrand finden unsere Bäume hier allerdings ideale Bedingungen vor, können sich also besser entfalten“, räumt Dieckmann ein. Aha, der Klimabaum-Hain fungiert hauptsächlich als Schauraum zur Wissensvermittlung, wie auch die kleinen weißen Tafeln vor jedem Baum vermuten lassen, und zur Verkaufsförderung.

Vorstellung des Klimabaum-Hains (Foto Gisela Baudy)Doch was genau können stadtklimaresistente Bäume mehr als andere? Solche Straßenbäume, erfahren wir, können zum einen den immer extremer werdenden klimatischen Bedingungen wie etwa Hitzewellen, langen Trockenperioden, Hagel, Starkregen, Frost und Kälteeinbrüchen sowie dem Schädlingsdruck (durch Pilze und Parasiten) standhalten. Gleichzeitig kommen sie besser zurecht mit den typischen Belastungen in der Stadt – wie etwa schlechte Luft- und Bodenqualität, zu wenig Wurzelraum, Salz, Wurzel- und Rindenverletzungen und Hitzestau durch Beton und Asphalt. Okay, das heißt, sie sind „Klima-Könner“, sie können Klima, besonders in der Stadt.

„Aber nicht jede Klimabaum-Sorte ist für jede Stadt gleichgut geeignet“, gibt der Baumexperte zu bedenken. „In München gibt es Föhn. Davon kennt Hamburg zum Beispiel nichts.“ Er versichert uns jedoch, dass es für jeden Standardort einen geeigneten Baum gibt, meist sogar mehrere Sorten, die auch genutzt werden sollten. Denn Vielfalt sei die wichtigste Form der Anpassung an den Klimawandel. Das heißt dann wohl: Auch gesundes urbanes Grün braucht die richtige Mischung.
 

Blasenbaum (Foto Gisela Baudy) Infotafel zum Blasenbaum (Foto Gisela Baudy)

Wir setzen uns in Bewegung und arbeiten uns schrittweise von kleinkronigen Bäumen über mittelgroße Bäume zu den Großbäumen. Als erstes begegnen wir dem Blasenbaum aus Ostasien. Auf der Informationstafel, die vor ihm steht, prangt ein rotes Bienensymbol. Denn dieser Baum liefert Insekten-Nahrung. Dieckmann empfiehlt uns, dieses Gehölz im Harburger Binnenhafen aufzusuchen und im Herbst die schönen, orangenfarbenen Früchte (Blasen) zu genießen. Als kleinkroniger Baum passe er übrigens auch sehr gut für Wohnstraßen.

Feldahorn (Foto Gisela Baudy) Flechten am Feldahorn (Foto Gisela Baudy)

Als Nächstes steht ein Feld-Ahorn auf dem Programm: ein einheimischer Alleskönner, Insektenfutter-Lieferant und vielbegehrter Straßenbaum. Der Blick fällt auf den gelblich-grünen Flechtenbefall. „Das ist ein gutes Zeichen. Es bedeutet beispielsweise, die Luft ist rein. Flechten schaden einem gesunden Baum nicht“, erklärt unser Tour-Guide. Er erzählt uns, dass diese Sorte zur Anpflanzung auf dem Bunker auf dem Heiligengeistfeld in St. Pauli bestellt worden sei, das Bauprojekt aber derzeit lahmliege und die Baumschule bei Anlieferung der Bäume um das weitere Prozedere nicht wisse, wenn die Verpflanzung in St. Pauli nicht möglich ist.

Es tröpfelt ein wenig, doch der Regenschirm bleibt in der Tasche. Der Himmel sieht nicht nach heftigem Regen oder Gewitter aus. Könnten wir hier draußen auch nicht gebrauchen. Die Wolken ziehen weiter und wir bleiben vor einem Exemplar stadtklimafester Bäume aus dem östlichen Nordamerika stehen.
 

Gold-Gleditschie (Foto Gisela Baudy) Gold-Gleditschie in Nahaufnahme (Foto Gisela Baudy)

„Der Amerikanischer Lederhülsenbaum (Gleditschie), ist ein hervorragender Stadtbaum und schon lange bei uns eingebürgert. Sie finden ihn vielfach in der HafenCity, aber auch unter Harburger Neuanpflanzungen. Er ist anspruchslos und auch salzverträglich; es besteht aber auch Frost- und Windbruch-Gefahr.“  Zwei Besucherinnen nicken: „Hier auf dem Schild steht auch, dass die GALK diesen Baum nur mit Einschränkungen empfiehlt.“ Die Tafel zeigt auch, dass dieser Baum insektenfreundlich ist. Tja, den perfekten Zukunftsbaum gibt es wohl (noch) nicht.
 

Kornelkirsche (Foto Gisela Baudy) Kornelkirsche in Nahaufnahme (Foto Gisela Baudy)

Wir kommen zu zwei weiteren mitteleuropäischen Bienenweiden mit erklärtem Zukunftspotential: Zum einen ist es die frühblühende Kornelkirsche mit ihrem sehr harten Holz und lang anhaltendem süßlichen Duft, die sehr gut für kleinere Straßen, auch als Hecken, geeignet ist. Und zum anderen der Apfeldorn, der unter anderem auch durch seine breite ph-Wert-Toleranz besticht.


 

Blumen-Esche (Foto Gisela Baudy) Infotafel zur Blumen-Esche (Foto Gisela Baudy)

Diese Bäume können alles, was ein Klimabaum können muss“, so Dieckmann. „Ebenso ist diese Blumen-Esche oder Zwerg-Esche aus dem Mittelmehrraum eine zukunftsträchtige Kandidatin. Denn sie ist unseren heimischen, größeren Eschen-Arten in der Stadt überlegen. Und die cremig-weißen Blütenstände im Mai sind die reinste Insektenfreude.“
 

Sommerlinde (Foto Gisela Baudy) Sommerlindenblatt mit Larve (Foto Gisela Baudy)

Wir schreiten weiter auf dem mit Löwenzahnblättern, kleinen Distelgewächsen und Grasbüscheln durchsetztem, saftigen Grünstreifen und begutachten eine andere Bienenfutterpflanze: die mitteleuropäischen Sommerlinde mit ihren gelben, hängenden Trugdolden. Sie ist von der Blattwespe befallen, deren Larven die Blätter braun werden lassen.
 

Krimlinde (Foto Gisela Baudy) Mongolische Linde (Foto Gisela Baudy)

„Linden sind Waldbäume und kaum für die Straße geeignet“, findet unser Baumführer. „Sie vertragen weder Hitze noch Trockenheit, sind spätfrostgefährdet und brauchen nährstoffreiche Böden. Stadtklimaresistent ist etwas anderes. Mit der Krim-Linde hier sieht es etwas besser aber auch nicht rosig aus: Sie verträgt zwar Stadtklima gut, ist aber kurzlebig, denn sie altert vorzeitig.“ Die mittelgroße Mongolische Linde hingegen, so Dieckmann, könnte unter Umständen zukunftsfähig sein. Sie werde von Stadtgrün 2021+ seit 2015 in verschiedenen Kommunen getestet; ausreichende Ergebnisse gäbe es bislang keine.
 

Baumhasel (Foto Gisela Baudy) Baumhasel in Nahaufnahme (Foto Gisela Baudy)

Auch die südost-europäische Baum-Hazel aus den Reihen der mittelgroßen Bäume ist wohl auf Dauer kein Zukunftsbaum für den Straßenrand, da sie empfindlich auf Bodenverdichtung reagiert. „In der Türkei ist es ein Waldbaum. Außerdem stören die Nuss-Büschel samt Hüllblättern, wenn sie im Herbst auf Fuß- und Radwegen und der Fahrbahn herumliegen.“

Wir bewundern die auffällig weißschimmernde Rindenfärbung eines anderen mittelgroßen Baumes. Ein kleiner Rindenteil ist bereits abgerollt: „Diese Himalaya-Birke ist in Nordindien, Nepal und Westchina zu Hause“, stellt uns unser Baumführer die weißeste aller Birkenarten vor. “Als zukünftiger Stadtbaum allerdings nicht so überzeugend, vor allem auch wegen ihrer Empfindlichkeit gegen Einpflasterung und Bodenverdichtung. Sie hebt auch gerne Pflastersteine hoch.“
 

Roteiche in Nahaufnahme (Foto Gisela Baudy) Sumpfeiche in Nahaufnahme (Foto Gisela Baudy)

Ganz anders verhält es sich mit der robusten Ungarischen Eiche. „Sie kann sogar bis zu einem Meter Entfernung zum Stamm eingepflastert werden“, lässt uns der Baum-Experte wissen. Ohne es zu bemerken, sind wir bereits bei den Großbäumen angelangt und begutachten eine Amerikanische Roteiche. Sie habe sich sehr bewährt, so Dieckmann, sie komme mit unserem Stadtklima gut zurecht. Gleiches würde auch für die nordamerikanische Sumpf-Eiche gelten, die ebenfalls als stadtklimafest eingestuft würde, ganz anders als ihr Name vermuten ließe.

Uns fällt auf, dass die letzten vier Gehölze weder heimische noch Insektenfutter-Pflanzen sind. Ob das nicht gegen die Anpflanzung amerikanischer und asiatischen Bäume sprechen würde? Dieckmann verneint „Zum einen brauchen wir zur städtischen Klimaanpassung Bäume aus wärmeren Gegenden. Unsere heimischen Arten wie etwa die Deutsche Eiche, einige Lindenarten oder die Rotbuche tun sich da schwer. Zweitens sind Biene und Co. sehr lernfähig und stellen sich nachweislich auf neue Blütenstrukturen ein.
 

Edelkastanie (Foto Gisela Baudy) Edelkastanie in Nahaufnahme (Foto Gisela Baudy)

Es geht zurück nach Mitteleuropa und wir betrachten die dünnen, langen, creme-weißen Blütenkätzchen eines anderen Großbaums. Auf der Informationstafel lesen wir „Edel-Kastanie“ und finden das Bienensymbol wieder. „Edelkastanien vertragen Hitze und meistens auch Frost gut und tolerieren sogar ein bisschen Streusalz. Ob sie langfristig in der Stadt überleben können, ist jedoch fraglich.“

 

Ginkgo (Foto Gisela Baudy) Infotafel zum Gingko (Foto Gisela Baudy)

Wir kommen zum Ende der Baumreihe und wenden uns noch einmal der östlichen Baum-Welt zu, genauer, dem Ginkgo. Diese 250 Millionen Jahre alte Baumart gilt als unempfindlich gegen Umweltschadstoffe und wird, da ist sich Dieckmann sicher, den Klimawandel überstehen – auch wenn sie beispielsweise weder Boden-Verdichtung, Streusalz noch Spätfrost toleriert.
 

Es ist inzwischen 18 Uhr geworden. Ein Klingeln lenkt unsere Aufmerksamkeit kurz auf zwei freundlich winkende Pedaleure. Ob sie den Klimabaum-Hain und seine Relevanz für die grüne Stadtentwicklung kennen? Wir wissen es nicht. Was wir hingegen nach dieser höchst informativen Baum-Safari wissen, ist dies:

Bei den zu erwartenden Klimaveränderungen und wachsenden Einwohnerzahlen in der Stadt gelingt urbane Klimaanpassung nur durch heimische, asiatische und nordamerikanische Vielfalt. Der Mix macht’s und die Antwort zur Frage, was ein Baum an diesem oder jenem Standort können soll oder muss.

Bleibt die Frage, wie sich das Klima in den nächsten 20 bis 30 Jahren entwickeln wird. Bisherige Erfahrungen könnten morgen schon irrelevant sein. Sicher ist nur eines: Klimabäume bleiben ein Dauerthema.

Weiterführende Links: Online-Galerie, Hintergründe, Datenbanken und Downloads
> Kommentierte Baumgalerie zur Baum-Safari im Klimabaum-Hain am 24.06.22 
Kommentierte Baumgalerien in der Harburger Innenstadt
> https://www.galk.de/ – Startseite Gartenamtsleiterkonferenz
> https://strassenbaumliste.galk.de/ – Liste der GALK)
> Zukunftsbäume für die Stadt
   – Infos und Download der Broschüre mit 65 Baumarten und
      Sorten „Zukunftsbäume für die Stadt“, (Jan. 2021)
> https://www.lwg.bayern.de/landespflege/urbanes_gruen/085113/index.php
   – Projekt Stadtgrün 2021+ mit Flyer-Download 
> https://www.lve-baumschule.de/wissen/klimawandel/klimabaumhain/
   – Infos und diverse Downloadmaterialien zu Klimabäumen
> https://www.lve-baumschule.de/pflanzen/klimabaeume/
   – Allgemeine Infos, Pflanzendatenbank und Stadtbäume-Profile: Arten und Unterarten (Sorten)

> https://citree.de/ – Baumportal TU Dresden (knapp 400 Urbane Gehölze und Sträucher mit Kriterienkatalog, 2012-2015)

Text: Chris Baudy

NUN-Logo (Umweltbehörde Hamburg)

Fotos (26): Gisela Baudy

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