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20.09.2018

Wie wollen wir in der Stadt leben?

Nachhaltigkeit, Politikverdrossenheit, Strategien, Indikatoren und transparente Kommunikation.

„Nachhaltigkeit beginnt in den Kommunen (…) dort, wo die Menschen leben, arbeiten, ihre Freizeit verbringen, ihre Familien und Freunde haben (…).“ (SDG-Indikatoren für Kommunen 2018:4). Aus diesem Grunde hatte HARBURG21 am 14. September 2018 in das Harburger Rathaus im Rahmen der Netzwerk-Veranstaltungsreihe „HARBURG GRÜN & FAIR eingeladen. Auf dem Programm stand der Vortrags- und Diskussionsabend "Wie wollen wir leben? Fair und nachhaltig in der Stadt" mit dem Ökotoxikologen und Nachhaltigkeitsforscher PD Dr. Wolfgang Ahlf.


Jürgen Marek, Moderator des Abends und Lenkungsgruppenmitglied beim Lokalen NachhaltigkeitsNetzwerk HARBURG21, begrüßte die rund 50 Besucherinnen und Besucher und stellte die Veranstaltungsreihe "HARBURG GRÜN & FAIR" vor, die HARBURG21 mit verschiedenen Akteurinnen und Akteuren seit Sommer diesen Jahres vor Ort durchführt. "Ziel ist es, die Aktivitäten zu bündeln, die Vernetzung der Akteurinnen und Akteure zu stärken und der Öffentlichkeit Möglichkeiten zur Teilhabe an der zukunftsfähigen Entwicklung vor Ort aufzuzeigen", erklärte Marek.

In seinem Grußwort hob Jörg Penner, Leiter des Dezernats Wirtschaft, Bauen und Umwelt, hervor, dass Harburg als einziger Bezirk in Hamburg übrig geblieben sei, in dem die politische Basis für nachhaltige Entwicklung vor Ort  nach wie vor bestünde und sich mit HARBURG21 eine feste Größe in diesen Agenda 21-Prozess etablieren konnte. Der Dezernent griff Nachverdichtung als Beispiel einer nachhaltigen Stadtentwicklung heraus. "Es dürfen möglichst keine partiellen Interessen dominieren und man muss ökologische, soziale und wirtschaftliche Aspekte zusammendenken." Genauer gesagt ginge es darum, bei dem stetig wachsenden Bedarf an Arbeit in der Stadt, also auch Harburg, mehr und vor allem bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, ohne dabei das Grünvolumen der Stadt durch Freiflächennutzung für Neubauten maßgeblich zu schädigen. "Das ist eine komplexe Angelegenheit, bei der verschiedene Interessenslagen ins Spiel kommen", schloss Penner.

Dass wir die Regenerationsfähigkeit unserer Erde deutschlandweit seit dem 2. Mai und weltweit seit dem 1. August diesen Jahres völlig überstrapazieren, sei zwar weithin bekannt, und es gäbe auch genügend Ideen, wie wir das ändern könnten, etwa durch weniger CO2-Ausstoß oder mehr Müllvermeidung. "Aber es hapert an der Umsetzung auf allen Ebenen", stellte Marek fest.

"Laut einer repräsentativen Umfrage von Emnid halten Dreiviertel aller Deutschen die Politiker für weltfremd, 57 % sind der Meinung, dass die Politik nicht genug Engagement für eine nachhaltige Entwicklung zeigt und 67 % geben an, sich für mehr Nachhaltigkeit einsetzen zu wollen", umriss Dr. Ahlf den Ausgangspunkt seines Vortrags. Zudem seien Klimawandel, Kriege sowie Ungleichheit und Diskriminierung die größten Bedrohungen aus der Sicht der Bevölkerung. Bei den drängensten Problemen lägen Klimaschutz, Armutsbekämpfung und Wohnraumversorgung auf den ersten drei Rängen. Aber man müsse hilflos zusehen, dass die Klimaziele der Bundesregierung, bis 2020 den CO2-Ausstoß zu verringern, offensichtlich nicht erreicht werden können.

Gleichzeitig stellte Dr. Ahlf neben den üblichen Möglichkeiten wie der Einführung von Energie-Labeln vielfältige Ansatze vor, die das Wirkungsgeflecht von Umwelt, Sozialem und Wirtschaft (den drei klassischen Säulen der nachhaltigen Entwicklung) berücksichtigen:

Suffizienz-Bestrebungen wie etwa weniger Eigentum und mehr Teilen (Shared Economy), mehr Lebensqualität durch Entschleunigung und Selbsterfahrung (statt Konsum), Kreislaufwirtschaft (Cradle-to-cradle), Upcycling, ethische Kapitalanlagen, bewusste Gesundheitsvorsorge usw. Hier geht es darum, sich von "so viel wie möglich" hin zu "so viel wie nötig" zu bewegen. "Zukunftsfähige Veränderungen sind sichtbar, aber sie gehen langsam vonstatten", stellte Ahlf fest. Denn der Mensch strebe nach Eigennutz und sei ein Gewohnheitstier.

Damit auf kommunaler Ebene – statt Ankündigungspolitik – mehr ergebnisorientierte und messbare Bewegung in die nachhaltige Entwicklung kommt, schlug der Referent vor, dass die Kommunen das Ganze wie ein Unternehmer in vier Schritten angingen:

1. Bedarfsanalyse für Verbesserung mit Zielsetzung und Maßnahmen-Bestimmung,
2. Umsetzung (Durchführen der Maßnahmen),
3. Überprüfung/Bewertung der erreichten Ziele mit Maßnahmenanpassung bei Bedarf,
4. Kommunikation der Ergebnisse.

Ein Beispiel wäre die Reduzierung von Energieverbrauch in öffentlichen Gebäuden durch Wärmedämmung. Dieser Wert kann erfasst und überprüft werden, um gegebenenfalls weitere zielführende Maßnahmen zu ergreifen.

In einem Nachhaltigkeitsbericht – der ab 2017 für alle mittleren Unternehmen (ab 500 Mitarbeitenden) vorgeschrieben ist und bereits für Freiburg und für Mannheim vorliegt – müssen dann Verwaltung und Politik Rechenschaft ablegen und zwar anhand eines 15 Kernindikatoren umfassenden Systems (mit messbaren Größen wie Flächenverbrauch, Jugendliche ohne Schulabschluss, Anzahl Regionalanbieter usw.). Auf diese Weise würde die Nachhaltigkeitspolitik für die Wählerschaft transparent werden, und diese hätte die Möglichkeit, konkrete Veränderungen zu fordern. "Veränderungen müssen erstritten werden", sagte der Nachhaltigkeitsforscher und wies auf mögliche Bürgerbeteiligungsverfahren wie Zukunftswerk-stätten und Bürgerkonferenzen hin.

Mit seiner Empfehlung "Wählen Sie nur die Politiker, die einen kommunalen Nachhaltigkeitsbericht vorlegen wollen" und der Aufforderung, nachhaltig aktiv zu werden, beendete der Referent seinen Vortrag und stellte sich den Ideen und Fragen aus dem Publikum.

Dabei ging es u.a. um die Frage nach dem Sinn eines Nachhaltigkeitsberichts. "Was bringt so ein Bericht, dass die Politik wirklich handelt?", wollte etwa Kay Wolkau von den Neuen Liberalen Harburg wissen. Die Antwort: Nachprüfbarkeit und Imageschaden wie bei Unternehmen, wenn die Ziele verpasst beziehungsweise Missstände aufgedeckt würden. Wie etwa die Weichmacher in Tchibos Gummistiefeln. Daraufhin hätte Tchibo seine Vertragspraxis über die gesamte Lieferkette mit strengeren Vorgaben geändert. Weitere Diskussionsfäden entwickelten sich aus Themen wie Postwachstums-Ökonomie als Lösung für den scheinbaren Widerspruch zwischen Wirtschaftswachstum und nachhaltiger Entwicklung; aus Möglichkeiten, giftige Textilien zu erkennen sowie aus der Frage, ob die  Vergabepraxis für Geschäfte in Harburgs Innenstadt nachhaltige Anbieter bevorzugen solle, statt Billigketten wie Kik und Tedi zu fördern.

Gegen 21 Uhr endete die allgemein als aufschlussreich und sehr gelungen empfundene Veranstaltung.

Text: Chris Baudy
Fotos: Gisela Baudy (1-6)

Weitere Informationen
Hintergrund zur Netzwerkreihe HARBURG GRÜN UND FAIR.

Hintergrund zum Vortrag/zum Regionalen Indikatorenset:
Ahlf, Wolfgang, 2018, Von der Bürgerbeteiligung zur kommunalen Nachhaltigkeit, epubli, 63 Seiten. Bezug bei findr

Bericht: HEINZ – Hamburger Entwicklungs-INdikatoren Zukunftsfähigkeit (24 Ziele in den Bereichen Wirtschaft, Umwelt und Soziales, mit Statistikdiagrammen und Ampelsystem)

Bericht: Nachhaltigkeitsmanagement der Stadt Freiburg (mit Berichtsdownload für 2014 und 2016, 12 Zielvorgaben mit Unterzielen, Statistikdiagramme) 

Bericht: Nachhaltigkeitsbericht der Stadt Mannheim 2016 (mit Statistikdiagrammen und Ampelsystem zur Indikatoren-Entwicklung, 24 Hauptziele mit Unterzielen in den Bereichen Ökologische Tragfähigkeit, Wirtschaft und Soziales, Rahmenbedingungen einer nachhaltigen Kommunalentwicklung)

Portal: Wegweiser Kommunen (Info-Portal für Kommunen in Deutschland mit über 5.000 Einwohner*innen: Bevölkerungsprognosen und andere Statistiken, Projektauflistung sowie die Möglichkeit, Berichte zu erstellen zu den Themen Demographie, Bildung Finanzen, Integration, Nachhaltigkeit, Sozialbericht)

Portal: SDG-Indikatoren für Kommunen: Infos, Download und Bestellung der gleichnamigen Publikation

Leitfaden: Strategische Eckpunkte für eine nachhaltige Entwicklung in Kommunen (Rat für nachhaltige Entwicklung RNE 2010, 16 S.)


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