Allen Hitzewarnungen zum Trotz ist am Abend des 29. August 2024, kurz nach 18 Uhr, die „Reisegruppe“ mit 18 Personen vollständig. Sicherlich ist die Aussicht auf den imposanten und vor allem schattenspendenden Baumbestand auf dem Harburger Rathausplatz mit angrenzender Museumsachse Anreiz genug, den wohlverdienten Feierabend noch etwas hinauszuschieben und bewundernd zu den urbanen Klimarettern aufzuschauen.
„Unser besonderer Fokus heute ist der Zukunftsbaumpfad 1, ein echter Entdeckungspfad“, eröffnet unser Baum-Guide Dr. Chris Baudy die heutige Tour. „Denn die Beschilderung für den Pfad ist noch im Werden.“ Ausgestattet mit einer DINA5-Broschüre und einem Flyer ziehen wir am Rathaus links vorbei zum Anfangspunkt des Rundganges – ein vital anmutender Rot-Ahorn an der Knoopstraße, der 2009 gepflanzt wurde. Die ersten rotgefärbten Blätter zeigen sich im Wipfel dieser im östlichen Teil des nordamerikanischen Kontinents beheimateten Baumart. Ein passender Name also, der sich allerdings nicht in der eingerollten Belaubung seiner 2017 gepflanzten Artgenossen (vor dem Kundenzentrum) nur wenige Meter entfernt widerspiegelt. Offensichtlich leiden diese Exemplare unter Trockenstress. „Der Rot-Ahorn kommt gut mit Frost klar (aber nicht als Jungbaum), mag aber weder Luft- noch Bodentrockenheit“, erklärt Baudy. “Was genau den Trockenheitsdruck hier ausmacht, ist schwer zu sagen. Die parkenden Autos? Die Nähe zur wärmespeichernden Hauswand? Zu wenig Wurzelraum? Die heißen Sommer der letzten Jahre?" Tja, fest steht: Das Leben an der Straße kann recht anstrengend sein.
Wir drehen uns zur „Nummer Zwei“ dieser Tour: ein weit ausladender Trompetenbaum. Er steht auf dem Gelände des Max-Schmeling-Parks, vielen Harburger:innen bekannt als die Museumsachse, die die Knoopstraße mit dem Harburger Rathausplatz verbindet. Neben den herabhängenden Früchten, die uns an riesige Bohnenschoten erinnern, bewundern wir großen herzförmigen grünen Blätter, neben denen sich die dreilappigen Blätter des Rot-Ahorns noch kleiner ausnehmen, als sie eh schon sind. Auch der Trompetenbaum ist in Übersee beheimatet (südöstliches Nordamerika) und ebenso beliebt bei unseren Insektenvölkern wie sein Nachbar (die Nummer Eins) an der Knoopstraße. „Der städtische Straßenrand taugt für Trompetenbäume allerdings kaum trotz der attestierten Hitzeverträglichkeit. Sie wachsen besser in Gärten und Parks. Vor allem Wurzelverletzungen vertragen sie nicht“, erfahren wir von unserem Tourenleiter. Gut, dann steht dieser Zukunftsbaum wohl genau richtig in dieser kleinen Parkanlage.
Während der Zeiger voranschreitet und sich das Thermometer langsam, aber sicher von der 30 Gradmarke abwärtsbewegt, arbeiten wir uns im Schatten von uralten Rot-Buchen, Ess- und Ross-Kastanien, Rot-Eiche, Kaukasische Flügelnuss, Eisenbaum und Co. durch Baumriesen und zwölf sogenannte Zukunftsbäume durch. Jede Baumart hat ihre spezifische Eignung zur Anpassung an den Klimawandel: Der südost-europäischen Platane am Springbrunnen etwa werden aus heutiger wissenschaftlicher Sicht robuste, zukunftsfähige Eigenschaften attestiert. Auch die heimische Esskastanie bringt gute Voraussetzungen mit. Erstaunlich, welch ein Mix an heimischen, heimisch gewordenen und gebietsfremden Bäumen sich auf dem Gelände befindet und Exoten (Neophyten) wie die Italienische Säulenpappel bereits 1888, also noch vor Baubeendigung des Rathauses (1892), angepflanzt worden sind.
Unterwegs machen wir auch einen Halt bei dem mjestätischen, vor 110 Jahren gepflanzten Silber-Ahorn auf der Krokuswiese zwischen Rathaus und Bauamt. Er ist zwar kein sogenannter Zukunftsbaum, hat aber aufgrund seines Alters dennoch das Zeug, mit weiteren Klimaveränderungen zurechtzukommen. Daran sollte auch der rote Quader an einem seiner dicken Äste nichts ändern können. „Dieses Kunstwerk von Hans Dietrich Schrader heißt >Cube and Trees< und ist seit heute offiziell Teil des Harburger Kunstpfades“, erzählt Baudy, „denn der Bezirk hat es jetzt gekauft." Kunst am Baum? Darüber müsste nochmal getrennt verhandelt werden. Heute wollen wir uns aber auf die Baumschätze konzentrieren.
Die Sprache kommt auf die schöne, alte Pappel, die 2014, 140-jährig, wegen der für diese Baumart typischen Kernfäule gefällt werden musste. Ihr Platz auf der Wiese ist bis heute frei geblieben. "Es könnte doch im Rahmen der Kampagne „Meine Stadt – mein Baum“ eine Baumpatenschaft ausgeschrieben werden", schlägt eine Teilnehmerin vor. Dann könnten fehlende Mittel über Geldspenden generiert und die bereits für 2015 vorgesehene Nachpflanzung an diesem Ort endlich nachgeholt werden. Der Vorschlag erhält breite Zustimmung, zumal angesichts des jährlichen dreistelligen Rückstandes der Stadt Hamburg bei Ersatzpflanzung für gefällte Bäume.
Wir gehen Richtung Harburger Rathausstraße zu der über 40 Jahre alten, äußerst anspruchslosen Robinie (auch Schein-Akazie genannt). Dieser in Europa seit dem 17. Jahrhundert verbreiteten Baumart könne selbst Luftverschmutzung und Einpflastern nichts anhaben, hören wir. Ihre Rinde, Samen und Blätter seien allerdings giftig für uns, nur die Blüten nicht. Diese wiederum lieferten Insekten, allen voran den Honigbienen, Nahrung für, wer hätte es gedacht, Akazienhonig. Eigentlich logisch, dass wir in unseren Gefilden keinen echten Akazienhonig bekommen können. Denn diese Baumgattung ist äußerst selten hier vertreten. Im Gegensatz zur Robinie, einem Schmetterlingsblütler, gedeiht die Akazie, ein Mimosengewächs, im subtropischen Klima eher als Strauch und nicht als Baum und hat paarig (statt unpaarig) gefiederte Blätter sowie kleine (statt große) Samenhülsen.
Um 19:30 Uhr, viel später als eigentlich geplant, entlässt uns Baudy mit einem letzten Tipp des Tages: „Mehr zum Thema Bäume, Stadt und Klimawandel stellt die Bücherhalle Harburg einen Monat lang auf einem gesonderten Medientisch zusammen. Es lohnt sich wirklich, mal vorbei- und reinzuschauen.“
Fotos: Gisela Baudy (1, 2), Chris Baudy (3-5)
Text: Chris Baudy
Weiter Links
Baumsteckbriefe https://www.harburg21.de/de/klima/zukunftsbaum-abc
Zukunftsbaumbroschüre https://www.harburg21.de/de/mitmachen/harburg-entdecken/reihe-zukunftsbaum-touren#c136
Kampagne Mein Baum – Meine Stadt https://www.hamburg.de/politik-und-verwaltung/behoerden/bukea/themen/hamburgs-gruen/baeume/mein-baum-meine-stadt
Grünpatenschaften im Bezirk Harburg https://www.hamburg.de/politik-und-verwaltung/bezirke/harburg/bezirksversammlung/foerderprogramm-gruenbeetpatenschaften-63180
Bücherhalle Harburg https://www.buecherhallen.de/harburg.html